Die Auswahl der folgenden Urteile und Sachverhalte soll verdeutlichen, welche antisemitischen und/oder rassistischen Äußerungen und Handlungen strafrechtlich geahndet wurden und in welchem Maße es Auswirkungen für den Angeklagten hat(te). Die meisten Urteile stützen sich auf § 130 Strafgesetzbuch, welcher die Folgen von Volksverhetzung beinhaltet. Dem Straftatbestand der Volksverhetzung steht das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz gegenüber. Die Urteile sollen daher aufzeigen, wo diese Grenze der Meinungsfreiheit überschritten wurde und dem Lesenden ein Gefühl hierfür geben.
Rechtsanwalt wird vom anderen Rechtsanwalt als „Winkeladvokat“ beleidigt
Bei beiden Parteien handelt es sich um zugelassene Rechtsanwälte. Diese führten mehrere Rechtsstreite gegeneinander. In einer E-Mail für die Rechtsanwaltskammer fügte der Beklagte hinzu, dass die Kanzlei des Klägers mal als Kooperation, mal als Sozietät auftrete und er dies als „Winkeladvokatur“ apostrophiere. Durch Offenlegung des Schriftverkehres mit der Rechtsanwaltskammer fühlte sich der Kläger öffentlich als „Winkeladvokat“ bezeichnet und sah hierin eine Beleidigung gemäß § 185 Strafgesetzbuch.
Kurzer Exkurs zum Begriff „Winkeladvokaten“: Der Begriff wurde früher verwendet, um eine Person zu bezeichnen, welche sich ohne Rechtsanwalt zu sein, berufsmäßig damit befasst, gegen Entgelt die Rechtsangelegenheiten von anderen zu erledigen. Heutzutage besitzt der Ausdruck eine abwertende Bezeichnung für einen Anwalt, dem es an juristischen Kenntnissen mangelt und/oder welcher auf unlautere Methoden zurückgreift. Im Nationalsozialismus wurde der Begriff nicht nur für Rechtsanwälte mit mangelnden juristischen Kenntnissen verwendet, sondern speziell wurde das Negativbild des Begriffes auf jüdische Anwälte projiziert.
Das Landgericht Köln entschied, dass die Bezeichnung „Winkeladvokatur“ einen rechtswidrigen und schuldhaften Angriff auf die Ehre und die Persönlichkeitsrechte des Klägers darstellt. Der Beklagte wurde verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger als Winkeladvokaten zu bezeichnen und musste dem Kläger 192,90 € zahlen.
Außerordentliche Kündigung wegen juden- und türkenfeindlichen Wandschmierereien in der Herrentoilette
Der Kläger wurde außerordentlich gekündigt, weil er die Betriebstoilette mit juden- und türkenfeindlichen Wandschmierereien beschmutzt hatte. Der Kläger war gewerkschaftlicher Vertrauensmann im Betrieb und in seiner Freizeit Fußball-Jugendtrainer in einem multikulturell geprägten Sportverein. Die Herrentoilette wurde mit den folgenden Inschriften beschmiert:
„Nicht jeder Nazi hat eine Glatze!
Aber jedem Türken fehlt die Vorhaut!
-Besser Vorhaut als Gehirn -
Die Juden haben wir nur vergast!
Aus den Türken machen wir Fernwärme!“
Aufgrund anonymer Hinweise glich die Beklagte die Schrift an der Herrentoilette mit den Unterlagen aus der Personalakte ab. Durch den hierdurch entstandenen Anfangsverdacht, gab die Beklagte in Abstimmung mit dem Betriebsrat ein graphologisches Gutachten in Auftrag. Das graphologische Gutachten bestätigte den Verdacht zu 90 %, eine aktuelle Schriftprobe wäre aber empfehlenswert. Der Kläger wurde hieraufhin angehört und gestand, die ersten drei Zeilen geschrieben zu haben und gab eine aktuelle Schriftprobe ab. Bei dem zweiten Gutachten wurde festgestellt, dass auch die letzten beiden Zeilen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von dem Kläger stammen. Dieser gestand daraufhin auch die letzten beiden Zeilen geschrieben zu haben. Die Beklagte informierte umgehend den Betriebsrat, mit der Absicht den Kläger deswegen außerordentlich zu kündigen. Der Betriebsrat meldete unter Bezugnahme auf der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers Bedenken gegen die Kündigung und empfahl, es mit einer Abmahnung gut sein zu lassen. Die Beklagte kündigte den Kläger trotzdem außerordentlich.
Die Berufung des Klägers wurde vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zurückgewiesen. Als Begründung hob das Landesarbeitsgericht nochmals die Begründungen der Vorinstanz hervor. Das Arbeitsgericht stellte fest, dass die geschriebenen Zeilen zu Recht eine außerordentliche Kündigung rechtfertigten. Insbesondere die letzten beiden Zeilen, welche sogar mit Ausrufezeichen versehen sind und an Menschenverachtung kaum mehr zu überbieten sind, erfüllen den Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Strafgesetzbuch) und sind geeignet den Betriebsfrieden zu stören. Das Arbeitsgericht stellt weiterhin fest, dass der Kläger durch das Wort „nur“ den millionenfachen Massenmord an Menschen jüdischen Glaubens relativiert und verharmlost . Zudem entsteht durch das „nur“ in der nächsten Zeile eine Steigerung. Der Straftatbestand der Volksverhetzung ist erfüllt und die außerordentliche Kündigung ist somit gerechtfertigt.
Damalige Vorsitzende eines Ortsverbandes der Partei DIE RECHTE beschimpft Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde als „Frechen Juden-Funktionär“
Eine Gemeinde ließ ihr Amtsblatt bei einem Verlag herausgeben, dessen Inhaber zugleich über einen anderen Verlag Schriften mit rechtsradikalen Hintergrund verbreite. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde kritisierte die Gemeinde hierfür. Daraufhin veröffentlichte der Beklagte, der damalige Vorsitzende eines Ortsverbandes der Partei DIE RECHTE, einen Artikel auf der Website der Partei. Der Beklagte griff in dem Artikel den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde an, indem er forderte, jegliche Kooperation mit der jüdischen Gemeinde einzustellen. Außerdem forderte er Konsequenzen für den Vorsitzenden für die Kritik an der Gemeinde und beleidigte diesen als „frechen Juden-Funktionär“. Zudem veröffentlichte dieser den Wohnort von dem Vorsitzenden.
Das Gericht führt in der Begründung auf, das in der Regel zu prüfen sei, ob in der Äußerung eine die Friedlichkeitsgrenze überschreitende Aggression vorliege. Dies ist je nach Einzelfall zu entscheiden, Wenn „[…] die äußernde Person ersichtlich auf Stimmungsmache gegen die jüdische Bevölkerung zielt, sich in der Äußerung mit der nationalsozialistischem Rassenideologie identifiziert oder die Äußerung sonst damit in direktem Zusammenhang stehen, kann darin eine menschenverachtende Art der hetzerischen Stigmatisierung von Juden und damit implizit verbunden auch eine Aufforderung an andere liegen, sie zu diskriminieren und zu schikanieren“.
Diese Grenze sei hier insbesondere überschritten, da das Ziel des Beklagten die Aufstachelung zum Hass war, insbesondere durch die Verwendung von dem antisemitischen Termini („frecher Jude“) und der Aufruf zum Boykott. Der Beklagte wurde wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt.
Antisemitische Inhalte in Whatsapp-Klassengruppe - angehende Polizeibedienstete werden aus dem Dienst entlassen
Mitglieder einer 18-köpfigen Gruppe angehender Polizeibediensteter der Fachhochschule der Polizei in Aschersleben teilten in ihrem Whatsapp-Klassenchat nationalsozialistische, rassistische und gewaltverherrlichende Inhalte. Der Chat bestand von 2018 bis 2021 und umfasste mehr als 50.000 Nachrichten, von denen mindestens 80 gewaltverherrlichend, antisemitisch oder rassistisch gewesen sein sollen. So beinhaltete er unter anderem Fotos von Adolf Hitler mit antisemitischen Beschriftungen. Zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Sachlage befanden sich die Beteiligten kurz vor ihrer Verbeamtung. Die Ministerin für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalts Tamara Zieschang teilte mit, dass die Inhalte nicht mit der erforderlichen Verfassungstreue zu vereinbaren sind und nicht toleriert werden. Sie kündigte an, dass die Bediensteten aus dem Landesdienst entlassen werden. Außerdem ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft gegen acht Personen, die dem Chat angehört haben sollen.
Bereuen von antisemitischen Aussagen, welche vor der Arbeitsaufnahme erfolgten und zur Kündigung führten
Eine Redakteurin des Auslandssender der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Welle, tätigte im Vorfeld ihrer Beschäftigung antisemitischer Aussagen. Aufgrund dieser Aussagen kündigte ihr Arbeitgeber fristlos das Arbeitsverhältnis. Hiergegen ging die Redakteurin gerichtlich vor und erhob eine Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht Berlin gab in dem Urteil an, dass antisemitische Äußerungen ein Grund für eine außerordentliche Kündigung sein können. Dies ist vor allem der Fall, wenn der bzw. die Betroffene mit einem erhöhten Öffentlichkeitsbezug arbeitet und eine Vielzahl an Menschen erreicht. Die antisemitischen Äußerungen erfolgten jedoch vor der Aufnahme des Arbeitsverhältnisses. Dem Urteil ist zu entnehmen, dass man gemäß dem Grundrecht auf freie Berufswahl die Möglichkeit haben muss, sich von vergangenen Taten zu distanzieren, sie zu bereuen und die eigenen Einstellungen überdenkt und ändert. Die Arbeitnehmer entschuldigte sich mit einer an die Öffentlichkeit gerichteten Erklärung. Allgemein gilt, je spontaner und früher man sich für eine Verfehlung entschuldigt, desto mehr Gewicht wird der Entschuldigung beigemessen und desto mehr Glaubhaftigkeit bringt die Entschuldigung mit sich. Außerdem kommt es auf die Schwere der getätigten Aussagen an, sodass stets eine Einzelfallbeurteilung nötig ist. Im beschriebenen Einzelfall erfolgte weder die Anhörung des Betriebsrates noch ein Abmahnung. Außerdem wurde die zweiwöchige Frist für eine außerordentlichen Kündigung ab Kenntnis der maßgeblichen Gründe nicht eingehalten. Folglich schätzte das Gericht die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisse unter Beachtung beiderseitiger Interessen als zumutbar ein und gab der Kündigungsschutzklage statt.
Für Arbeitnehmer gilt diesbezüglich, sich bei dem Spürbarwerden von Vorwürfen über vergangene Äußerungen umgehend Rechtsrat einzuholen. Dies sollte im besten Fall vor einer Anhörung oder einem Personalgespräch erfolgen. Anschließend sollte sich öffentlich, glaubhaft entschuldigt werden.
Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 05.09.2022 – 22 Ca 1647/22
Kündigung statt Beförderung aufgrund von antisemitischen Äußerungen
In einer sauerländischen Firma aus der Werkzeugbau-Branche sollte ein Gruppenleiter befördert werden. Dieser hatte jahrelang auf seinem Facebook-Profilbild einen durchgestrichenen Davidstern und die judenfeindliche Bemerkung „Fuck you Israel“ verbreitet. Der Betriebsrat der Firma widersprach der geplanten Beförderung aufgrund der antisemitischen Äußerungen. Die Unternehmensleitung wollte die vom Betriebsrat versagte die Beförderung durch eine Anrufung des Iserlohner Arbeitsgerichts dennoch durchsetzen. Im gerichtlichen Verfahren verteidigte die Firma den Gruppenleiter und bezeichnete die Äußerungen als berechtigte freie Meinungsäußerung, welche vom Grundgesetz geschützt sei. Das Verfahren erhielt überregionale Aufmerksamkeit, wodurch der Druck auf die Unternehmensleitung wuchs. Im Verlaufe des Verfahrens trennte sich das Unternehmen von dem Gruppenleiter und der gerichtliche Zustimmungsantrag wurde zurückgenommen.