Leitfaden gegen Antisemitismus
Eine Informationsplattform für die Verwaltungen im Land Sachsen-Anhalt
 


 

Hier finden Sie Fragen und Antworten zum Thema Antisemitismus.

 

Was ist Antisemitismus?



 

Unsere Definition:
„Antisemitismus ist die Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden.“
Das Phänomen des Antisemitismus ist schwer konkret zu bestimmten, denn es existieren unterschiedlichste Ausprägungen.
Antisemitismus äußert sich auf unterschiedlichste Art und Weise. Problematisch bleibt, dass es keine allgemeingültige Definition des Begriffs gibt. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung im September 2017 eine sog. „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ angenommen, die von der von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) formuliert wurde.

 

 


Die IHRA definiert Antisemitismus wie folgt:
„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen.“

 






Welche Formen des Antisemitismus gibt es?




1. Christlicher Antijudaismus: Die Juden werden hier als das Volk der Gottesmörder betrachtet, die durch ihren Verrat Jesus ans Kreuz gebracht haben. Die biblische Figur des Judas wird zum Sinnbild der Juden.
2. Islamischer Antisemitismus: Er ist ein religiöser bzw. kultureller Antisemitismus des Islams und seiner Anhänger gegenüber dem Judentum und dessen Anhängern. Der islamische Antisemitismus kommt aus dem islamischen Antijudaismus sowie dem europäischen Antisemitismus. Abzugrenzen ist der islamische Antisemitismus vom Antizionismus, also der Staatsbildung Israels. Der islamische Antisemitismus kann zum Beispiel durch abwertende Aussagen im Koran verursacht sein und findet sich auffällig oft in den Regionen des Nahost und Nordafrikas.
3. Rassistischer Antisemitismus: Der rassistische Antisemitismus war der Kern der nationalsozialistischen Ideologie. Sie ist eine spezielle Form des modernen Antisemitismus: Die sog. „jüdische Rasse“ galt dabei als Bedrohung für die über ihr stehenden „arische Rasse“.

 


Nach dem Bericht über die aktuelle Entwicklung des Antisemitismus in Deutschland des Bundesministeriums des Innern aus dem Jahr 2017 lässt sich Antisemitismus in drei Kategorien einordnen. Das Ministerium unterscheidet zwischen klassischem Antisemitismus, sekundärem Antisemitismus und israelbezogenem Antisemitismus.

 

1. Klassischer Antisemitismus:

  • Die Juden haben in Deutschland zu viel Einfluss
  • Die Juden arbeiten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen
  • Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns
  • Die Juden sind durch ihr Verhalten an ihren Verfolgungen mitschuldig


2. Sekundärer Antisemitismus:

  • Viele Juden versuchen aus der Vergangenheit des Dritten Reiches heute ihren Vorteil zu ziehen
  • Den Deutschen werden immer noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten


3. Israelbezogener Antisemitismus:

  • Die Politik Israels wird mit den Juden gleichgesetzt
  • Israel führt einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser
  • Israels Umgang mit den Palästinensern ist mit dem Umgang der Nazis mit den Juden vergleichbar
 


Gibt es konkrete antisemitische Vorurteile? Und was ist dran?

Den oben genannten Kategorien lassen sich noch weitere Vorurteile und antisemitische Aussagen hinzufügen. Grundsätzlich werden diese nicht in der gesamten Gesellschaft abgelehnt. Dies hat diverse Gründe, insbesondere sozialdemografische, religiöse und politische Gründe. Das Bundesministerium für Inneres resümiert, dass Israelkritik zumeist ein Indiz für Antisemitismus ist, jedoch nicht grundsätzlich gleichzusetzen ist. Die Vorurteile und antisemitischen Aussagen des klassischen Antisemitismus sind in unterschiedlichsten Erhebungen wissenschaftlich erforscht und widerlegt. In Anbetracht der engen Verbindung zum täglichen Leben und den direkten Auswirkungen sind diese öffentlich und fundiert abzulehnen.

 


Antisemitische Redewendungen im Alltag

Die Äußerung „Du Jude“ ist zu vergleichen mit der Bezeichnung „Du Opfer“ und nimmt in Deutschland als alltägliche Verächtlichmachung zu. Hinter der Aussage „gieriger Jude" versteckt sich eine diskriminierende und negative Kennzeichnung. Wird die Redewendung mit der Bezeichnung „Du Jude“ verglichen, verfolgt dies das Ziel die Existenz negativ zu beurteilen. Aus dem Nationalsozialismus hat sich die antisemitische Äußerung bis heute fortgesetzt. Inwieweit antisemitische Äußerungen zwischen Jugendlichen in der Häufigkeit als Beleidigung von jüngeren Menschen angewendet wird, zeigt eine Analyse  zu antisemitischen Äußerungen im Provokationswettbewerb zwischen Heranwachsenden. Hierbei weist die Aussage zum einen antisemitische Unbekümmertheit auf. Zum anderen wenden Jugendliche die Beschimpfung unwissentlich als antisemitische Denkweise an und wollen durch die Aussage „Du Jude“ provozieren.


Ein weitere verwendete Beschimpfung ist die „Judennase“. Der Begriff „Judennase“ ist aus dem 14. Jahrhundert herzuleiten, welche von den einzelnen Generationen weitergereicht wurde. Diese findet oftmals Anwendung in verschiedenen Karikaturen. Ein weiteres Schimpfwort ist die Aussage „Ex oder Jude“, welches oft von Jugendlichen beim Verzehr von Alkohol verwendet wird. Außerdem ist eine weitere beleidigende Redensart „nur keine jüdische Hast“. Diese findet ihre Herkunft darin, dass die Juden den Toten, wie im Islam, sehr schnell begraben. Das galt für die Christen der damaligen Zeit als ungewohnt, da die Totenwache dort als normal empfunden wurde. Des Weiteren treten in der Gesellschaft immer wieder eine Vielzahl in Chats an antisemitischen WhatsApp Stickern beim Messenger Dienst auf.

 

Grenzen
Es ist schwierig im Thema Humor Grenzen zu ziehen, jedoch gibt es welche in Bezug auf antisemitische Witze.  Ob die Witze von Jüdinnen und Juden oder Nichtjüdinnen und -juden gemacht werden ist irrelevant, denn auch Jüdinnen und Juden müssen diese Grenzen beachten. Es ist jedoch der bestmögliche Fall, wenn jüdische Angehörige die Witze selber erzählen, da sich der Humor im Witz über die eigene Person und Kultur zeigt. Beispiele für Grenzen sind das Versenden von Bildern mit antisemitischen Witzen oder Witzeseiten im Netz. Ein Mann wurde wegen Judenwitzen in einem WhatsApp-Chat verurteilt, da er Bilder mit verbotenen antisemitischen Witzen verschickte, die er für „schwarzen Humor“ hielt. Eines der Bilder zeigte eine Rauchwolke mit der Bildunterschrift „Ein jüdisches Familienfoto“. Ein Polizeianwärter wurde wegen antisemitischer Bilder, die er in einem Gruppenchat verschickte, entlassen. Er versendete beispielsweise ein Foto von Anne Frank, dem eine Liste von Optionen hinzugefügt war, die auch die Option "Mit Stern bewerten" beinhaltete. Das Verwaltungsgericht Berlin entschied in einem Eilverfahren, dass die Einstellung eines den Holocaust verharmlosenden Bildes in einem Gruppenchat von Polizeibeamten die sofortige Entlassung eines Polizeianwärters aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf rechtfertigt. Ebenfalls wurde gegen einen Betreiber einer Witzseite wegen des Verdachts der Volksverhetzung ermittelt. Auf der Internetseite befanden sich zahlreiche Witze über Jüdinnen und Juden, die die jüdischen Opfer des Holocaust degradierten und zum Teil strafrechtlich zu prüfen waren. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt. Weitere Beispiele für Grenzen lassen sich im Bereich Kabarett und Comedy aufzeigen. Die Kabarettistin Lisa Eckhart erzählte in einem ihrer Programme den Witz: „Wieso sind in Sachen Humor die Juden den Frauen zwei Nasenlängen voraus? Die Vorteile des Lasters.“. Diese Bemerkung bedient den antisemitischen Stereotyp des Aussehens von Jüdinnen und Juden anhand der großen Nase. Die Beratungsstelle ADIRA ist eine Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit mit dem Schwerpunkt Antisemitismus und erklärt, dass die Kabarettistin auf Szenarien zurückgreife, die man aus dem Nationalsozialismus kenne. Somit ginge es nicht darum, über die „Absurdität des antisemitischen Wahns zu lachen, sondern über antisemitische Witze“.

 

Wirkung der Witze und Redewendungen
Um die Wirkung der antisemitischen Witze und Redewendungen zu verdeutlichen dient das Beispiel des Schulalltags. Tim Seidenschnur hat für seinen Aufsatz „Kontextueller Antisemitismus in einem Alltag ohne Antisemiten - Eine Analyse von antisemitischen Äußerungen im Provokationswettbewerb zwischen Heranwachsenden“ Ausschnitte aus Gruppendiskussionen mit Jugendlichen der Jahrgangsstufen 7 bis 9 als empirische Grundlage genutzt. Aus diesem Aufsatz geht hervor, dass sich die jüdischen Schüler durch antisemitische Bemerkungen zurückgewiesen fühlen. Zudem sind antisemitische Witze und Bemerkungen in einem Freundeskreis und auf dem Schulhof zum Alltag geworden. Es besteht für die Jugendlichen die Gefahr, dass sie in der Gruppe nicht anerkannt werden, wenn sie die antisemitischen Bemerkungen nicht als Witz ansehen. Das setzt die Jugendlichen unter Druck, da sie entscheiden müssen, ob sie der Gruppe angehören oder ihre wohlmöglich eigene Meinung gegen die Akzeptanz antisemitischer Witze und Bemerkungen vertreten wollen. Weiterhin ist es denkbar, dass die Bemerkungen der Jugendlichen Einfluss auf ihr Erwachsenenalter und die spätere politische Denkweise haben. Möglicherweise können aus den verharmlosten Witzen und Bemerkungen politische Forderungen und Gewalt entstehen. Hinzu kommt, dass die Ernsthaftigkeit der Witze geleugnet wird und dem Antisemitismus somit ein unpolitischer Charakter zugeschrieben wird.  Im Allgemeinen wirken sich die Witze, die die Stereotypen eher bedienen als sie bloßzustellen, negativ auf die Jüdinnen und Juden aus, die häufig damit konfrontiert werden. Die Witze und Redewendungen über Jüdinnen und Juden haben jedoch auch positive Seiten. Humor kann ein Mittel sein, um Antisemitismus zu thematisieren und darauf aufmerksam zu machen. Zudem kann dadurch der Umgang mit diesem Thema und der nationalsozialistischen Vergangenheit erleichtert und offen über die Witze und Grenzen diskutiert werden. Durch offene Thematisierungen und Diskussionen wurden in der Vergangenheit die Tabus gebrochen und können auch weiterhin in Zukunft thematisiert und beseitigt werden.


Fazit/ Grauzone
Abschließend wird nun aus den Redewendungen, den Urteilen und Beispielen versucht eine Grauzone zwischen antisemitische Redewendungen und jüdischen satirischen Witzen abzuleiten. Grundsätzlich gilt jede Andeutung, die negativ behaftet ist, als antisemitistisch anzusehen. Dabei ist zu unterscheiden, ob jüdische Angehörige selbst Witze über ihre Glaubensrichtung abhalten, welche dann nicht als antisemitisch zu bewerten sind, aber dennoch sind ebenfalls Grenzen einzuhalten. Des Weiteren ist die Wirkung der inhaltlichen Übermittlung von Stil und Methodik abhängig. Die Art und Weise zeigt auf, ob die Redewendung positiv oder negativ aufzunehmen ist. Zudem kann die Unkenntnis über Antisemitismus nicht als Entschuldigung für antisemitische Redewendungen gelten, da das Thema Antisemitismus beispielsweise in den Schulen bearbeitet wird. Besonders positiv hervorzuheben ist, dass durch Kabarettisten und Stand-up Comedians das Thema Antisemitismus und die jüdische Geschichte humorvoll aufgearbeitet wird, welches den Zweck verfolgt, dass sich mit dem Thema Antisemitismus ausfallend auseinandergesetzt wird. Die Grenzen liegen darin, wo Jüdinnen und Juden in Darstellung bestimmter Situationen oder als Person verspottet und gedemütigt werden oder antisemitische Stereotype bedient werden, denn bereits dort fängt Antisemitismus an. Die Witze und Bemerkungen sollten so thematisiert und in der Art und Weise so übermittelt werden, ohne die nationalsozialistische Geschichte zu leugnen oder zu verharmlosen. Es wurde aufgezeigt, dass ein Verfahren gegen einen Betreiber einer Witzeseite eingestellt wurde. Dahingehend sollten antisemitische Witze und Bemerkungen in Zukunft kritischer gesehen und geahndet werden.